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Einspritzpumpe für Elektronen

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Tags: Elektromobilität
Johannes Winterhagen, 21. November 2018
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Johannes Winterhagen Wenn es richtig kompliziert wird, ist der Fachjournalist für Energie- und Mobilitätsthemen in seinem Element. Mit Ingenieuren trifft er sich am liebsten im Labor.
Nur ein kurzer Tritt aufs Gaspedal und schon startet der Sprint mit gewaltigem Schub – und das aus dem Stand. Viele Fahrer, die erstmals in einem Elektroauto sitzen, sind überrascht und begeistert, wie sportlich sich so ein E-Mobil fahren lässt. Automobilbauingenieure sind da abgeklärter. Schließlich wissen sie, dass der Kraftstoff, den ein Verbrennungsmotor benötigt, zunächst zum Einspritzventil gepumpt wird und dann unter hohem Druck in den Zylinder des Motors gebracht werden muss.

Im Elektroauto hingegen ist die Batterie der Tank. Der darin gespeicherte Energieträger Strom besteht aus Elektronen, fast masselose Elementarteilchen, die sich daher in völligem Einklang mit Einsteins Relativitätstheorie mit Lichtgeschwindigkeit fortbewegen können. In der Realität wird der Strom zwar durch den Innenwiderstand der Leitungen etwas gebremst, ist aber dennoch sehr viel schneller unterwegs als flüssige oder gasförmige Kraftstoffe. Dieser Unterschied erklärt, weshalb eine elektrische Maschine in Sekundenbruchteilen die gewünschte Drehzahl erreicht. Die erzeugte mechanische Energie hängt allein davon ab – sofern die Spannung konstant ist – wie viele Elektronen es in die Wicklungen der E-Maschine schaffen.

Leistungselektronik regelt den Elektronenfluss

Leistungselektronik regelt den Elektronenfluss

Was das für die Praxis bedeutet? Der Zufluss an Elektronen muss exakt gesteuert werden, um die Leistung des Elektromotors an die Fahrsituation anzupassen. Auch ein Elektroauto benötigt eine Art Einspritzsystem. Diese Funktion übernimmt die mit dem Elektromotor gekoppelte Leistungselektronik. Darüber hinaus hat die Leistungselektronik eine weitere wichtige Aufgabe. Die Fahrzeugbatterie, ein Lithium-Ionen-Akku, kann ausschließlich Gleichstrom aufnehmen und abgeben. Moderne E-Antriebe in Autos arbeiten jedoch immer mit Wechselstrom. Dessen Herstellung regelt die Leistungselektronik. Wenn das Fahrzeug bremst und der Elektromotor als Generator arbeitet, muss der dabei erzeugte Wechselstrom zunächst gleichgerichtet werden, bevor er in der Batterie gespeichert werden kann. Da im Alltagseinsatz der Strom die Leistungselektronik permanent in beide Richtungen passiert, ist der Wirkungsgrad der Leistungselektronik entscheidend dafür, wie weit ein Elektroauto mit einer Batterieladung kommt.

Halbleiter der Leistungselektronik: die Einspritzventile des E-Motors

Halbleiter der Leistungselektronik: die Einspritzventile des E-Motors

Die in einer Leistungselektronik für den Wirkungsgrad entscheidenden Bauelemente sind die Leistungshalbleiter. Wie Einspritzventile durch Öffnen und Schließen die Kraftstoffmenge regulieren, so versperren diese Halbleiter im Ruhezustand den Elektronen den Weg. Je nach Bauart macht der Halbleiter den Weg frei – entweder, indem an ihn eine Spannung angelegt wird oder, indem ein elektrisches Feld erzeugt wird. Beide Verfahren lassen sich auch kombinieren. In diesem Fall handelt es sich dann um einen sogenannten Bipolartransistor mit isolierter Gate-Elektrode (Insulated-Gate Bipolar Transistor, IGBT). Allen bislang in Elektroautos eingesetzten Leistungshalbleitern ist eines gemeinsam: Sie basieren auf reinem Silizium. Das hat viele Vorteile; etwa den, dass sich für die Herstellung der Siliziumkristalle und für deren Weiterverarbeitung die gleichen Prozesse nutzen lassen wie für Computerchips.
Bei gleicher Batterieleistung verspricht eine Leistungselektronik mit Chips auf Basis von Siliziumkarbid eine um fünf bis zehn Prozent erhöhte Reichweite des Elektrofahrzeugs im Vergleich zu einer Leistungselektronik auf Silizium-Basis.

Günstiges Silizium mit Nachteilen

Günstiges Silizium mit Nachteilen

Die Sperrspannung eines Silizium-Halbleiters – quasi der Druck, dem das elektronische Ventil standhalten muss – hängt allerdings wesentlich von dessen Dicke ab. Die Folge davon: Mit steigender Spannung werden die Halbleiter immer größer; gleichzeitig verringert sich im Fahrbetrieb der Wirkungsgrad. Während bislang die Motoren aller Elektroautos mit 400 Volt arbeiteten, kommen vom Jahr 2019 an die ersten Fahrzeuge mit 800-Volt-Antrieb auf den Markt. Grund für die Spannungsverdoppelung sind nicht Vorteile beim Fahren, sondern die mit dem Spannungsanstieg verbundene halbierte Ladezeit. Künftig soll es nur noch 15 bis 20 Minuten dauern, um ausreichend Strom für 400 Kilometer Reichweite zu tanken.

Vor diesem Hintergrund arbeitet ZF an einer neuen Generation der Leistungselektronik. Sie basiert auf Leistungshalbleitern aus Siliziumkarbid. In diesem Material ist jedes Siliziumatom an vier Kohlenstoffatome gebunden – und umgekehrt. Kohlenstoffatome sind nicht nur kleiner als ihre Siliziumpartner, sondern binden auch die freien Elektronen enger an sich. An das festere Material lassen sich zehnfach höhere Feldstärken von bis zu drei Megavolt pro Zentimeter anlegen, bevor die Gitterstruktur zerreißt.

Mehr Reichweite durch Siliziumkarbid-Chips

Mehr Reichweite durch Siliziumkarbid-Chips

Für die Praxis bedeutet dies: Dieselbe Spannung lässt sich mit zehnfach dünneren Chips verarbeiten. Für einen 800-Volt-Antrieb reichen Halbleiter die zirka 100 Mikrometer dick sind. Die geringere Bauhöhe bringt einen geringeren Innenwiderstand mit sich. Dementsprechend gehen weniger Elektronen auf dem Weg zum Motor verloren – der Wirkungsgrad steigt. Diesen Fortschritt registriert auch der Autofahrer, der nichts von Halbleiterphysik versteht, denn bei unveränderter Akkugröße kann die Reichweite um fünf bis zehn Prozent steigen.