see. think. act.
Software Defined Vehicle Software Defined Vehicle

Software macht das Auto zur Mobilitätsplattform

min Lesezeit
Das „Software-defined Vehicle“ ist startklar. Was kann ein Fahrzeug besser, dessen Funktionen von der Software vorgegeben werden? Wer nutzt es? Und welchen Anteil hat ZF?
Andreas Neemann,
author_image
Andreas Neemann hat seinen ersten ZF-Magazintext im Jahr 2001 zum 6HP-Automatgetriebe geschrieben. Seither begleitet der Automotive-Autor mit Faible für komplexe Themen den Konzern in vielen Publikationen für interne wie externe Leser.
Ein paar Zahlen zeigen, wie stark in den vergangenen Jahren die Bedeutung von Software für die Automobilbranche zugenommen hat: Zehn Millionen Zeilen Software-Code enthielten vor zehn Jahren alle elektronischen Steuerungen eines Kompaktklasse-Fahrzeugs zusammengerechnet. Für ein aktuelles Modell sind es bereits 100 Millionen Zeilen Code, Oberklassefahrzeuge kommen sogar auf 150 Millionen.

Hinter dem steigenden Anteil von Software im Automobil stehen auch veränderte Endkundenerwartungen an künftige Pkw. Autofahrer wollen Zusatz- und Assistenzfunktionen anders nutzen: flexibel freischalten und bezahlen, wenn es benötigt wird, sofort und ohne Fahrt in eine Werkstatt. Sie wollen Zugriff auf die Apps des eigenen Smartphones nahtlos auch im Auto; oder sie wollen Fahrzeuge gar nicht mehr selbst besitzen, sondern sie im Rahmen von Mobilitäts-Apps kurzfristig buchen. Das Software-defined Vehicle (SdV) ist die Antwort auf viele dieser Zukunftswünsche.

Mehr Rechenleistung – neue Elektronik-Architekturen

Mehr Rechenleistung – neue Elektronik-Architekturen

Es ist mehr als ein Zukunftstrend. In den Entwicklungsabteilungen der Hersteller und ihrer Technologielieferanten, darunter auch ZF, ist es schon Realität. Das hat einen konkreten technischen Hintergrund: „Moderne Pkw können auf eine immense Rechenleistung zugreifen – so genannte ‚High Performance Computer‘“, erklärt Dr. Dirk Walliser, Leiter der konzernweiten Forschung und Entwicklung bei ZF. „Damit werden wiederum neue Elektronik-Architekturen möglich: Komplexere Software kann mehrere Systeme ansteuern, koordinieren und vernetzen.“ Das bedeutet: Was ein Auto kann, wird künftig viel stärker durch Software bestimmt. Die Hardware, also Aktuatoren wie Lenkung und Bremse, ist heute schon digital ansteuerbar – nicht zuletzt dank intelligenter Steer-by-Wire-Systeme von ZF.
10
mal mehr Software-Code habe aktuelle Kompaktklassefahrzeuge als ihre Vorgängermodelle vor zehn Jahren.

Das ist eine technische Revolution im Vergleich zur bisherigen Vorgehensweise: Da begannen die Ingenieure bei der Hardware. Welche Eigenschaften brachten Motor, Getriebe, Fahrwerk, Dämpfung, Lenkung mit und welche Fahrzeugcharakteristik ließ sich daraus machen? Digital ansteuerbar waren alle Systeme bislang schon und auch Assistenzsysteme gab es – wie die „Schleuderbremse“ ESP, die je nach Fahrsituation einzelne Räder abbremste. Jedes System und jede Komponente hatte eigene elektronische Steuereinheiten (ECUs). Über den CAN-Bus integrierten die Automobilhersteller diese ins Fahrzeug. Diese „signalbasierte Elektronikarchitektur“ – so genannt, weil jedes Steuergerät permanent Signale an „seine“ Hardware funkte – wurde jedoch immer komplexer. Vor allem dann, wenn es das Ziel war, durch Vernetzung verschiedener Systeme zusätzliche Sicherheitsvorteile in kritischen Fahrsituationen zu realisieren. Genau das ist die Zukunft der Mobilität, denn durch leistungsfähige Assistenzsysteme bis hin zum hochautomatisierten Fahren wird Autofahren immer sicherer und komfortabler.
Dr. Dirk Walliser über den Ansatz "Software first, digital always".

Neues Leistungsspektrum von ZF

Neues Leistungsspektrum von ZF

„Wir haben unser Leistungs- und Produktspektrum auf die neuen Elektronikarchitekturen angepasst“, erklärt Christoph Elbers, Vice President Car Chassis Technology bei ZF. „Zum einen bieten wir selbst ‚High-Performance Computer‘ an, zum anderen spielen wir mit unserem kompletten Produktportfolio für Längs, Quer-, und Vertikaldynamik und unseren intelligenten Komponenten unser vernetztes und digitales Know-how so aus, dass wir Funktionen darauf integrieren oder sie ganz unabhängig auch als Software-Produkt zur Verfügung stellen.“

Mit den Möglichkeiten der neuen Elektronikarchitektur wird das Software-definierte Auto ganz anders entwickelt: „Es wird quasi vom Ende her neu gedacht“, erklärt André Engelke, Leiter des Systemhauses Vehicle Motion Control bei ZF. „Die Ingenieure überlegen zuerst, welche Funktionen oder Fahreigenschaften das Fahrzeug haben soll. Erst dann entscheiden sie, welche Sensoren, Rechner oder welche intelligenten Aktuatoren im Fahrzeug die entsprechenden Befehle umsetzen können.“ Auch in dieser Hinsicht ist ZF wegweisend. Mit cubiX hat der Konzern eine Steuerungssoftware entwickelt, die alle aktiven und semiaktiven Aktuatoren des Fahrwerks sowie dem (E-)Antrieb mit einem Regelalgorithmus vernetzt und koordiniert. „cubiX ist es egal, ob ein Aktuator von ZF kommt oder nicht. Da wir das Know-how für sämtliche Aktuatoren haben – von der Bremse über die Lenkung bis zur Dämpfung – können wir Funktionen entwickeln, die Komfort, Fahrdynamik und Sicherheit erhöhen. Unsere Software setzt das dann mit den Stellern um, die der OEM im Fahrzeug hat – alles durch standardisierte Schnittstellen“, erklärt Engelke.
„Das Software-definierte Auto wird vom Ende her neu gedacht: Die Ingenieure starten bei den Funktionen und entscheiden erst dann, wie diese umgesetzt werden. Immer größere Funktionsanteile werden dabei durch die Software bestimmt.“
Dr. Dirk Walliser, Leiter der konzernzweiten Forschung und Entwicklung bei ZF

Mehr Reichweite im E-Fahrzeug

Mehr Reichweite im E-Fahrzeug

Und von cubiX profiteren viele: Autohersteller können den Anpassungs- und Applikationsaufwand für ihre verschiedenen Modelle deutlich senken. Und die Autofahrerinnen und Autofahrer genießen mehr Fahrdynamik, mehr Fahrkomfort, mehr Sicherheit und Effizienz – alles, wofür das Software-defined Vehicle steht. Mehr Effizienz – das macht deutlich, wie vielseitig cubiX ist.

Es spielt auch eine Rolle bei der E-Mobilität und kann die Reichweite von E-Fahrzeugen erhöhen.Denn die Bremse, ein wesentlicher Aktuator der Vehicle Motion Control, ist zugleich für die Rekuperationsphasen von E-Fahrzeugen verantwortlich. Entscheidet die Regelsoftware, häufig zu rekuperieren, lädt das die Batterie wieder auf.

cubiX ist keine Zukunftsmusik. cubiX ist ein Beispiel für „Software as a Product“, ZF hat es in China 2022 in Serie gebracht. Weitere Autohersteller werden folgen, denn ZF schneidet das Softwarepaket gerade modular auf die unterschiedlichen Bedürfnisse seiner Kunden zu.

Perspektive: Neue Mobilität

Perspektive: Neue Mobilität

Das Software-definierte Vehicle erfüllt die Mobilitätsbedürfnisse kommender Generationen. Das endet nicht mit der Möglichkeit, im eigenen Pkw attraktive Assistenzfunktionen nachträglich dazuzubuchen. Weil das Software-defined Vehicle grundsätzlich auch mit anderen Fahrzeugen und der Infrastruktur vernetzt ist, kann es den Verkehr insgesamt noch sicherer machen: Es kann alle Verkehrsteilnehmer vor Blitzeis oder Ölflecken warnen, sieht Staus voraus oder nimmt Gefahrenpotenzial viel früher wahr als Menschen das könnten. Die neue Rechenleistung bringt auch KI-Algorithmen ins Fahrzeug, die die Basis für hochautomatisiertes und autonomes Fahren bilden. Und auch neue Business-Modelle und Anwendungsfälle werden möglich. Dann geht es gar nicht mehr um den Besitz eines eigenen Automobils, sondern um den Zugang zu Mobilität. Schließlich sind die autonomen Transportsysteme, die ZF zur Entlastung des städtischen Verkehrs anbietet, das beste Beispiel für Software-definierte Fahrzeuge.