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Das vernetzte Lenken „Steer-by-Wire“ Das vernetzte Lenken „Steer-by-Wire“

Das vernetzte Lenken „Steer-by-Wire“ ist da

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Das Fahrerlebnis, ob manuell oder assistiert, hebt ZF auf ein neues Niveau – ebenso die Automatisierung. Das Lenkungssystem Steer-by-Wire gibt den Entwicklungsspielraum dafür frei; unter anderem dadurch, dass die Lenkzwischenwelle entfällt.
Achim Neuwirth,
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Achim Neuwirth ist seit 2011 als Autor für ZF tätig. Der Publizistiker schreibt bereits seit rund 20 Jahren über Mobilitätsthemen in allen Facetten.
Um enge Stadtecken lässt sich das Auto agiler denn je zirkeln. Muss man plötzlich ausweichen, verhält sich der Wagen so souverän, als wäre ein versierter Rallye-Pilot am Steuer. Enge Parkplätze verlieren ihren Schrecken. Denn anstatt wild am Lenkrad hantieren zu müssen, ist gar kein Übergreifen mehr nötig. Doch am besten überlässt man das Einfädeln in die Lücke dem Auto selbst. Gleiches gilt für das Abspulen eintöniger Streckenkilometer. Solange der Computer steuert, hält auch das Lenkrad angenehm still. So stört es die Person im Fahrersitz nicht beim Arbeiten oder Ausruhen.

Alles nur Wunschvorstellungen? Keineswegs, denn Steer-by-Wire (SbW) kommt. Und damit diese spannende neue Funktionsvielfalt. Davon profitieren nicht nur Fahrer, sondern auch die Autohersteller; in jedem Segment, angefangen bei urbanen Kleinwagen über Sportler bis hin zu Oberklasse-SUVs. „Unser agiles Team arbeitet intensiv daran, diese innovative, richtungsweisende Technologie zur Marktreife zu bringen. Speziell für das automatisierte Fahren per Autopilot gilt SbW als entscheidend“, sagt Thilo Bitzer, Senior Vice President Global Steering Engineering bei ZF.

Lenkung stützt sich auf elektronische Säule

Lenkung stützt sich auf elektronische Säule

Hinsichtlich der Komponenten springt eines als Erstes ins Auge: Bei echtem SbW gibt es keine mechanische Verbindung zwischen Lenkrad und Lenkgetriebe mehr. Die Lenkzwischenwelle (die Säule) ist entfallen. Traditionell überträgt diese die Steuerbewegung an das Lenkgetriebe der Vorderachse. Das neue System löst das anders. Ein elektromechanischer Steller zwischen den Rädern ist die alleinige Quelle der Lenkkraft. Dieser sorgt nun in den Tiefen des Fahrwerks für den Radeinschlag. Die Befehle des Fahrers gelangen auf elektronisch-verkabeltem Weg – sprich: „by wire“ – dorthin.
Die Kommandos kommen von einem Lenkradaktuator im Cockpit. Er verfügt über Sensoren, die die Drehung erfassen, hat aber auch einen eigenen Antrieb. Über diesen reproduziert das System das natürliche Lenkgefühl und die Rückmeldung von der Straße. „Bei Steer-by-Wire handelt es sich im Prinzip um die konsequente Weiterentwicklung unserer elektrischen Servolenkung. Die Innovation hat jetzt eine Lenkzwischenwelle weniger und viele Vorteile mehr“, erläutert Bitzer.
„Unser innovatives Team arbeitet mit Volldampf daran, Steer-by-Wire zur Marktreife zu bringen. Speziell für das automatisierte Fahren per Autopilot gilt SbW als entscheidend.“
Thilo Bitzer, Senior Vice President Global Steering Engineering bei ZF

Steuert automatisiert und manuell besser

Steuert automatisiert und manuell besser

Für autonome Robo-Shuttles, die kein Lenkrad und keinen menschlichen Fahrer mehr brauchen, ist die Steer-by-Wire-Technologie eine Grundvoraussetzung. Übrigens arbeiten auch Hinterachslenkungen wie die Active Kinematics Control (AKC) von ZF schon länger sehr erfolgreich nach diesem Prinzip. Und in Passagierflugzeugen ist es als „Fly-by-Wire“ längst etabliert.
Doch zurück ins Auto. Hier ist SbW das Lenkungssystem der Zukunft. Es ebnet höheren Automatisierungsstufen den Weg. Im Autopilot-Modus lässt es den Fahrer, wie eingangs beschrieben, buchstäblich in Ruhe. Beim heute üblichen – manuellen und assistierten – Fahren steigert SbW den Fahrspaß. Zugleich ermöglicht es ein komfortableres und sichereres Lenken. In Sachen Lenkgefühl ist damit von sportlich-direkt bis komfortabel-entspannt jede Einstellung möglich, in ein und demselben Pkw. Auch kann das System dieselbe Lenkradbewegung je nach Fahrsituation variabel übersetzen, das heißt: zum Einparken und bei niedrigem Stadttempo winkeln sich die Räder für die Richtungsänderung (sehr) stark ein, bei hohen Autobahngeschwindigkeiten dagegen nur wenig.
Zusammen mit anderen Assistenten fördert das System die Fahrsicherheit. Die Stabilisierung des Autos in kritischen Situationen, beispielsweise bei einem plötzlich ausbrechenden Heck, kann es sehr effizient erledigen. Fahrer reagieren darauf oft mit zu starken oder schlicht falschen Drehungen am Lenkrad. SbW gleicht das für sie direkt an den Rädern korrigierend aus, sprich: unabhängig von der tatsächlichen Lenkradbewegung. „Wir können erstmals vollkommen frei definieren, was und wieviel von den Eingriffen der Assistenzsysteme am Lenkrad spürbar ist“, betont der Entwicklungsleiter.

Schafft Platz und Designoptionen

Schafft Platz und Designoptionen

Zu den weiteren Pluspunkten von SbW zählen generelle Raumgewinne und neue Gestaltungsmöglichkeiten im Cockpit. Kommende elektrische und automatisierte Fahrzeugkonzepte werden sie umfassend nutzen. Der Knieraum wächst, weil keine Lenkkonstruktion mehr hindurchläuft. Und das Lenkrad kann – solange sicher und sinnvoll – neue Formen annehmen, vor allem kleiner und damit platzsparender werden. Ab dem hochautomatisierten Fahren wird es sich in manchen Autos demonstrativ ins Armaturenbrett zurückziehen, auf ein Kommando „by wire“ selbstverständlich.

Steer-by-Wire fördert die neue Automobilität

Steer-by-Wire fördert die neue Automobilität

Fahrzeugherstellern macht es ZF so einfach wie möglich, zu dieser Technologie zu wechseln. „Wir haben SbW als skalierbares und modulares System entwickelt. Damit erfüllt es die Anforderungen verschiedener Märkte und Kunden. Insbesondere zählt das bei der Integration in bestehende und zukünftige Fahrzeugarchitekturen“, sagt Bitzer. In Zukunft ist sogar denkbar, dass nur ein zentraler Hochleistungsrechner das SbW-System konzertiert mit allen anderen Fahrdynamik-Funktionen steuert. Wie das aussehen wird, zeigt ZF bereits mit seiner Software-Plattform cubiX und dem Chassis 2.0-Konzept. Rein über die Software definiert Steer-by-Wire auch die Lenkcharakteristik perfekt für eine Marke oder ein bestimmtes Modell. Die Mechanik kann unverändert bleiben. Und für Rechtslenker-Varianten – zum Beispiel für Großbritannien, Australien, Japan, Indien und Südafrika – braucht lenkungstechnisch lediglich der Lenkradaktuator die Cockpitseite zu wechseln.
Seitens der passiven Sicherheit bewegt SbW mehreres. Der Wegfall einiger mechanischer Lenkungsbauteile bedeutet erstens, dass es weniger Komponenten gibt, die Insassen bei einem Unfall eventuell gefährlich werden können. Und zweitens eröffnet es neue Optionen für künftige Einbaupositionen des Fahrerairbags. Natürlich bedeutet Sicherheit auch die reibungslose Funktion im Betrieb. Deshalb verfügt das Steer-by-Wire von ZF über alle erforderlichen Rückfallebenen und Sicherheitskonzepte. „Die Einhaltung sämtlicher Automotive-Standards und auch das Thema Cybersecurity haben für uns höchste Priorität“, betont Bitzer.
Wie die Autos kommender Generationen funktioniert also auch die Lenkungsinnovation elektrisch, intelligent, softwaredefiniert und vernetzt. Das macht Steer-by-Wire zu einem wegweisenden Systembaustein der Mobilität von morgen. Und zu einem, der die Chancen der Branchentransformation ergreift.
Steer-by-Wire unterstützt alle Ebenen des automatisierten Fahrens bis hin zu fahrerlosen Mobilitätssystemen.
Lenkrad im Ruhemodus