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KI in Aktion: Das Potenzial der Prüfdaten KI in Aktion: Das Potenzial der Prüfdaten

KI in Aktion: Das Potenzial der Prüfdaten

Prüfsysteme in der Industrie erzeugen jeden Tag große Datenmengen. In ihnen steckt bares Geld – sofern man sie aufbereitet und richtig auswertet. ZF Test Systems ergänzt deshalb nun sein Geschäft mit Advanced Analytics.

Autor: Andreas Neemann, 2024-05-02

Es ist die letzte Stufe in der Fertigungslinie, bevor ein Produkt die ZF-Welt in Richtung Kunde verlässt: der End-of-Line-Prüfstand. Hier gibt es nur Daumen rauf oder Daumen runter, grün oder rot, „OK“ oder „NOK“. Wenn ZF in dieser Phase die wenigen Teile identifiziert, die „Nicht OK“ sind, spart das Kosten und untermauert die Reputation des Konzerns als Qualitätslieferant. Denn wären NOK-Teile – etwa ein Pkw-Getriebe – an Kunden ausgeliefert worden, hätte das Reklamationen bis hin zum Rückruf des Fahrzeugs zur Folge haben können.

Prüfstands-Know-how von ZF Test Systems

Was viele nicht wissen: Die Prüfstände, die die „NOK“-Teile aus der Linie fischen, kommen ebenfalls von ZF. Das Know-how, Hardware für Testing und Validierung zu entwickeln und zu konstruieren, ist seit mehr als 35 Jahren in der ZF Test Systems zusammengefasst, einer eigenen Sparte innerhalb des ZF-Konzerns. Mit Standorten in Europa, Asien und Amerika baut ZF Test Systems Prüfstände für unterschiedliche Branchen – auch außerhalb der Automotive-Welt und für externe Kunden.

1.800 Prüfsysteme hat ZF Test Systems in den vergangenen Jahrzehnten aufgebaut und weltweit ausgeliefert – neben End-of-Line-Prüfständen auch sehr komplexe Anlagen für Forschungs- und Entwicklungszwecke. Ganz gleich, ob es um eine neue Reifenmischung, um Batterien oder um die elektromagnetische Verträglichkeit einer E-Maschine geht – Prüfstände von ZF Test Systems sind meist involviert, wenn eine Innovation das Licht der industriellen Welt erblickt.

ZF Test Systems hat
1800
Prüfsysteme aufgebaut und weltweit ausgeliefert

Prüfdaten sind digitale Schätze

Die Konsequenz: Weltweit prüfen die End-of-Line-Testsysteme von ZF Teile im Sekundentakt – und dokumentieren das Ergebnis digital. End-of-Line-Prüfsysteme erzeugen so pro Tag bis zu 30.000 Datensätze. „Unsere Maschinen bringen digitale Informationen hervor, die sich für eine weitere Auswertung mit KI-Algorithmen anbieten“, erklärt Simone Fuchs, bei ZF Test Systems für Advanced Analytics verantwortlich. „Wir kombinieren das Know-how als Maschinenhersteller, als KI-Experten und als Spezialisten in der diskreten Produktion - dort, wo es also um die serielle Herstellung von Teilen in hoher Qualität geht. Aus diesem Domänenwissen können wir attraktive praxistaugliche Lösungen machen.“ Diese können dazu beitragen, die Automatisierung zu verbessern (und damit Produktion effizienter zu gestalten), – die Qualität zu erhöhen oder Emissionen im gesamten Herstellungsprozess zu senken und damit nachhaltiger zu produzieren.

Kein Wunder, dass auch viele Kunden von ZF Test Systems ihre Daten nutzen wollen – oder von Consulting-Unternehmen oder Software-Anbietern dazu angehalten werden. „KI einsetzen wollen viele. Um aber KI-basierte Modelle in der Produktion in den richtigen Kontext zu setzen, braucht es unser domänenspezifisches Fachwissen“, erläutert Fuchs. Deshalb will ZF Test Systems seine Analytics-Lösungen als zusätzliches Geschäft in Kombination mit dem Verkauf der Prüfstände anbieten. „Die Zeit dafür ist reif. Wir konnten unsere Modelle in den vergangenen Jahren an mehreren Pilotprojekten beweisen. Die so entstandenen Lösungen sind in diversen Produktionslinien eingebunden und schaffen täglich quantifizierbaren Mehrwert.“

„Tatoo“ macht Daten verfügbar

Das war allerdings kein Selbstläufer. Wer die Daten mit KI-Algorithmen auswerten will, muss sie vorher an zentraler Stelle zusammenführen, aufbereiten, standardisieren und verfügbar machen. Da viele Analytics-Projekte bereits hier scheitern, hat ZF Test Systems ein eigenes Produkt für die automatische Langzeitspeicherung in einem zentralen System entwickelt. „Tatoo“ kann alle Daten während oder nach der Produktion in einer zentralen Datenbank speichern, wo sie für Auswertungen zur Verfügung stehen. Wie dann das Potenzial der Daten genutzt werden kann, zeigt ein Beispiel an End-of-Line-Prüfständen im ZF-Werk in Saarbrücken. ZF Test Systems hat zusammen mit Experten des ZF AI Lab Saarbrücken einen KI-basierten Algorithmus entwickelt, mit dem sich das NVH-Verhalten (Noise, Vibration, Harshness) von Getrieben und E-Maschinen digital beurteilen lässt. Gerade bei hochdynamisch rotierenden Komponenten – oder solchen, die enorme Kräfte übertragen –, können Unregelmäßigkeiten im NVH-Verhalten auf spätere Schäden hindeuten. Sonargramme geben Aufschluss, welche Frequenzen bei welchen Drehzahlen angeregt werden. Dr. Nicolas Thewes und seine Kollegen haben Algorithmen entwickelt, die aus Abertausenden von Sonargrammen OK-getesteter Getriebe eine pixelgenaue „Karte“ erstellen, die als Referenz für alle nachfolgenden Prüfungen herangezogen werden. Vereinfacht gesagt, wird das Sonargramm jedes neuen Prüflaufs in Echtzeit mit dem Referenzmodell verglichen. Aus den Abweichungen liefert die KI wichtige Erkenntnisse an die Produktionsexperten.

„Mit der Ausrollung von 'wAIve Guard' werden wir weitere Erfahrungen sammeln und vor allem weitere Daten, den entscheidenden Treibstoff hinter jeder KI-Lösung.“
Dr. Nicolas Thewes - Chief AI Engineer bei ZF

Pilotprojekt findet Geräuschanomalien per Pixel

Mit diesem algorithmischen Ansatz wird die End-of-Line Prüfung befähigt, auch Fehler zu finden, die bisher noch nie aufgetreten sind. Und die KI-basierte Verarbeitung der Prüfdaten geht noch weiter: Die großen Datenmengen ermöglichen es, Klassifikationsalgorithmen zu trainieren, die auftretenden Fehler in NOK-geprüften Bauteilen, sehr genau beurteilen. „In dieser automatisierten Klassifizierung liegt enormes Potenzial unserer Lösung“, betont Thewes. Denn jeder NOK-Prüfling mitsamt seinen Daten musste vorher aufwendig von Produktexperten begutachtet werden, um die Fehlerursache zu identifizieren. Das kann nun in immer mehr Fällen ein KI-System übernehmen, und zwar vollautomatisch, 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche. Ein Drittel der Klassifizierungen nimmt heute schon der Algorithmus eigenständig und korrekt vor, Tendenz weiter steigend. Das Beispiel zeigt, wie sich durch KI-Anwendungen hochqualifiziertes Personal entlasten lässt. Eine attraktive Problemlösung in den ZF-Werken, wo sich die Experten nun verstärkt ihren eigentlichen Aufgaben widmen können. Außerdem beschleunigt sich so die Produktoptimierung – denn aus den NOK-Fällen lassen sich auch gezielte Anhaltspunkte für eine verbesserte Qualität in der Produktion ableiten.

Ausrollung steht bevor

Die produzierenden ZF-Einheiten sind von der Herangehensweise und dem Produkt der Konzerntochter Test Systems so überzeugt, dass „wAIve Guard“ demnächst in mehreren Werken eingesetzt werden soll. Und das nicht nur in der Division Elektrifizierte Antriebstechnologien sondern auch in der Division Industrietechnik, konkret in den Windkraft-Getriebewerken in Lommel (Belgien) und Tianjin (China).

ZF Test Systems - Simone Fuchs

„Mit der Ausrollung werden wir weitere Erfahrungen sammeln und und vor allem weitere Daten, den entscheidenden Treibstoff hinter jeder KI-Lösung “, ist Thewes überzeugt. Dann werden Simone Fuchs und ihr Team auch schon weitere Use-Cases erarbeitet haben, wie sich aus Produktions- und Prüfdaten mehr Qualität, mehr Nachhaltigkeit und mehr Effizienz in der Produktion machen lässt . Ein deutlicher Mehrwert für die Kunden von ZF Test Systems und zugleich ein konkretes Beispiel, wie sich relevante Produktions- und End-of-Line-Testdaten gewinnbringend nutzen lassen.

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