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Booster für Entwickler bei ZF

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Lean Validation und Digital Twin sind die Basis für deutlich schnellere und effizientere Entwicklungsprozesse – mit höherer Zuverlässigkeit.
Stefan Schrahe,
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Stefan Schrahe schreibt seit drei Jahrzehnten über alles, was vier Räder hat. Privat bewegt er sich gerne auf Zweirädern – auch da am liebsten motorisiert.
Es ist ein Paradebeispiel der digitalen Transformation: Mit dem Lean Validation Prinzip hat ZF im Jahr 2022 bereits mehr als 100 Mio. Euro eingespart. Die Nutzung von Simulationen im Entwicklungsprozess wird durch Digital Twins, die reale Prototypen virtuell nachbilden, noch weiter vorangetrieben. Das Ziel: Mit Virtual Releases Entwicklungsprozesse deutlich verkürzen.

Lean Validation: Innerhalb von fünf Jahren fest etabliert

Lean Validation: Innerhalb von fünf Jahren fest etabliert

Bastian Schubert, bei ZF zuständig für Validation Strategy & Reliability, kennt als ehemaliger Versuchs-Ingenieur die konventionellen Entwicklungsprozesse in der Automobilindustrie sehr genau. Das Testen von Hardware-Prototypen ist extrem teuer und zeitaufwändig: „Es gibt Phasen, wo einem nichts übrigbleibt, als zu warten. Etwa dann, wenn ein neuer Prototyp gebaut wird. In dieser Zeit gibt es keinen Wissenszuwachs. Das ist verlorene Zeit, die sich besser nutzen lässt.“

Angesichts von Quantensprüngen wie der Elektromobilität, dem Software-definierten Fahrzeug, immer stärker vernetzten Systemen im Fahrzeug sowie automatisierten Funktionen, sind ebensolche Paradigmenwechsel auch in der Entwicklung gefordert, zumal der Zeit- und Kostendruck trotz eines immer dynamischeren Technologie-Umfelds ständig wächst. Wichtig daher: Divisionsübergreifend Prozesse zu etablieren, die Zeit sparen und langfristig einen Wissensstand generieren und anwachsen lassen, von dem alle folgenden Entwicklungen immer wieder profitieren.
"Wir [...] fokussieren die Tests auf einzelne, neue Komponenten und ergänzen die Daten mit Simulationsergebnissen. Die nachgewiesene Zuverlässigkeit des Produkts ist damit gleich oder sogar höher als die aufwändige Gesamtsystem-Erprobung.“
Bastian Schubert, zuständig für Validation Strategy & Reliability bei ZF

Lean Validation ist ein solcher Prozess. 2017 bei ZF eingeführt, lagen die Einsparungen fünf Jahre später bereits bei mehr als 100 Mio. Euro. Das Prinzip: die hybride Verwendung von physikalischen und virtuellen Tests. Hatten Simulationen vorher nur eine Ampel-Funktion, um in die physikalische Validierung mit Hardware einzusteigen, begleiten sie den Entwicklungsprozess nun von der Planung bis zur Freigabe. Daten von Einzelkomponenten aus dem Feld oder aus früheren Validierungen fließen in die Simulation ein. Je mehr Daten über einzelne Komponenten vorliegen, desto genauer ist das Modell in seiner Vorhersage für ein neues Bauteil oder System.

Bastian Schubert: „Wir legen den Design Verification Plan bei den maßgeschneiderten Lean Validation-Prozessen nicht mehr darauf an, immer das ganze System zu testen, sondern fokussieren die Tests auf einzelne, neue Komponenten und ergänzen die Daten mit Simulationsergebnissen. Die nachgewiesene Zuverlässigkeit des Produkts ist damit gleich oder sogar höher als die aufwändige Gesamtsystem-Erprobung.“ Die Nutzung von Vorwissen und Simulationsergebnissen hat durch die Vermeidung von unnötigen Versuchsläufen zu den hohen Einsparungen geführt. Mittlerweile wird Lean Validation in mehr als 80 Prozent aller Entwicklungsprozesse bei ZF angewendet. Weil die Erkenntnisse aus jedem einzelnen Prozess wiederum in die Modelle einfließen, ist Lean Validation ein System, das sich selbst ständig verbessert.

Zeitersparnis

Der nächste Schritt: Virtual Release - mit der virtuellen Entwicklungsmethode sollen bei ZF bis 2025 physikalische Baustufen eingespart werden, was die Validierungszeit um rund ein Drittel verkürzen würde.

Der nächste Schritt: Mit Digital Twin fast wie im richtigen Leben

Der nächste Schritt: Mit Digital Twin fast wie im richtigen Leben

Einen Schritt weiter geht der Digital Twin. Bei ihm handelt es sich um ein virtuelles Abbild, mit dem das Verhalten eines realen ZF-Produkts während des gesamten Lebenszyklus abgebildet wird.

Mit dem Digital Twin lassen sich auf Simulationsergebnissen basierende Aussagen weiter verbessern und neue Ansätze auf System- und Komponentenebene realisieren. So ermöglicht die Kombination der Digital Twins einzelner Systeme – wie etwa einem Getriebe – mit dem Digital Twin des Fahrzeugherstellers oder der Antriebseinheit mehr Erkenntnisse über die jeweiligen Wechselwirkungen. Überhaupt macht der Digital Twin die Vorteile der Simulation auch jenen zugänglich, die von Haus aus keine Simulations-Experten sind: Konstrukteure müssen das in einer Anwendung hinterlegte Modell lediglich mit den relevanten Daten füttern – der Rest passiert nahezu automatisch. Vom Digital Twin profitieren aber nicht nur Komponenten- oder Fahrzeugentwickler: Ein auf die Beanspruchung maßgeschneiderter Service oder Funktionen im Fahrzeug, die den Digital Twin nutzen, können auch den Autofahrern unmittelbar zugutekommen. So könnte der Zustand eines Gebrauchtwagens künftig auf Basis des Digital Twins individuell exakt beurteilt werden – inklusive zu erwartender Reparaturen.
Mittlerweile wird Lean Validation in mehr als
80 %
aller Entwicklungsprozesse bei ZF angewendet.

Die Zukunft: Virtual Release

Die Zukunft: Virtual Release

Die Kombination aus Lean Validation und Digital Twin heißt Virtual Release. Beim Virtual Release dreht sich das ursprüngliche Verhältnis zwischen Hardware-Test und Simulation ins Gegenteil: „Die Simulation mit dem Digital Twin wird zu unserem Basis-Instrument für die Freigabe“, erläutert Bastian Schubert. „Reale Tests dienen künftig dazu, zu überprüfen, wie gut unsere Simulation ist. Dabei müssen wir aber keine kompletten Tests durchführen, sondern lediglich überprüfen, wie nah die prognostizierten Ergebnisse der Simulation am tatsächlichen Testergebnis sind. Der Test sagt uns, wie gut unser Modell ist. Haben wir dafür die Bestätigung, erfolgt die Freigabe auf Basis der Simulation – nicht auf Basis des Tests.“ Damit ist ein enormer Zeitgewinn verbunden – vor allem, weil es keine Stagnation des Erkenntnis-Zuwachses gibt, nur weil auf die Fertigung neuer Prototypen gewartet werden muss. Im Gegensatz zur hybriden Freigabe bei Lean Validation werden beim Virtual Release nicht mehr einzelne Tests in ihrem Umfang reduziert, sondern ganze Testreihen in bestimmten Prototypenphasen virtualisiert.
In drei Schritten verkürzt ZF also signifikant seine Entwicklungszeiten und -kosten, ohne Abstriche bei der Qualität machen zu müssen. Perfekte Voraussetzungen, um in einem dynamischen Umfeld wettbewerbsfähig zu bleiben.
"Die Simulation mit dem Digital Twin wird zu unserem Basis-Instrument für die Freigabe“
Bastian Schubert, zuständig für Validation Strategy & Reliability bei ZF