E-Fähren: Den ökologischen Fußabdruck verkleinern
Wegen häufig kürzerer Fahrstrecken eignen sich Fähren sehr gut zur Elektrifizierung. Dies trägt nicht bloß dazu bei, den Ausstoß von Treibhausgasen zu senken. Über die Vorteile maritimer E-Antriebe und was ZF dazu beiträgt.
Wer die aktuelle öffentliche Diskussion über die Rolle des Verkehrs als Treibhausgas-Verursacher verfolgt, gewinnt den Eindruck, dass es dabei vor allem um Personenwagen und Nutzfahrzeuge geht. Nur wenig wahrgenommen wird der Schiffsverkehr. Dabei verursacht dieser rund 2,5 Prozent der CO2-Emissionen weltweit. Innerhalb der EU sind es nach Angaben der Europäischen Kommission sogar drei bis vier Prozent. Weil der Schiffsverkehr im Pariser Klimaabkommen nicht berücksichtigt ist, sollte die UN-Organisation für die Internationale Seeschifffahrt (IMO) Regelungen erarbeiten, um die Treibhausgas-Emissionen zu senken. Im Juli 2023 einigten sich die 175 IMO-Mitgliedsländer darauf, ihre ursprüngliche Strategie zu verändern.
Nun enthält sie das Ziel der Netto-Null-Emissionen von Schiffen bis oder um das Jahr 2050 herum. Dazu IMO-Generalsekretär Kitack Lim: „Die Verabschiedung der IMO-Treibhausgasstrategie 2023 ist eine monumentale Entwicklung für die IMO und eröffnet ein neues Kapitel in Richtung maritimer Dekarbonisierung. Gleichzeitig ist sie nicht das Endziel, sondern in vielerlei Hinsicht der Ausgangspunkt für die Arbeit, die in den kommenden Jahren und Jahrzehnten noch intensiviert werden muss.“
Win-Win-Situation für alle Beteiligten
Ist bei Autos die Elektrifizierung ein wichtiger Lösungsansatz für mehr Klimaschutz, gilt dies nur eingeschränkt für Schiffe. Bei ihnen bietet sich der Hebel „batterieelektrischer Antrieb“ vor allem für Wasserfahrzeuge an, die eher kurze Strecken zurücklegen. In diese Kategorie fallen sehr viele Fähren. Elektrische Fähren leisten jedoch nicht nur einen Beitrag zur CO2-Ersparnis, sie verbessern auch die Luftqualität für Anwohner an den Anlegestellen und reduzieren den Lärm. Doch auch die Betreiber von E-Fähren profitieren von der neuen Technik. Nach Angaben des Argonne National Laboratory, ein Forschungszentrum in Washington D. C., das zum US-Energieministerium gehört, ist es günstiger, Elektromotoren und Batterien zu warten als ein Antriebssystem mit Verbrennern. Da moderne Batterien sich in 10 bis 15 Minuten aufladen lassen, genügt die Zeit des Anlege-Stopps zum Nachtanken von Energie. Natürlich geht die Rechnung für die Umwelt nur dann auf, wenn der Strom im Hafen CO2-neutral erzeugt wird.
Markt für maritime E-Antriebstechnik wächst
Angesichts der Anforderungen, massiv CO2 einzusparen und der Vorteile maritimer E-Antriebstechnik, ist deren Zukunft rosig. Wie „Business Norway“ mitteilt, Norwegens offizielle Marketingplattform für grüne und nachhaltige Lösungen, wird der globale Markt für elektrische Schiffe bis zum Jahr 2030 voraussichtlich 14,2 Milliarden US-Dollar schwer sein; im Jahr 2022 waren es gerade einmal 3,3 Milliarden US-Dollar.
Derzeit sind weltweit 586 batteriebetriebene Schiffe im Einsatz vermeldet das Maritime Battery Forum im Februar 2023. Geordert seien knapp 200 weitere. Norwegen selbst ist ein Pionier bei der Elektrifizierung, nicht nur im Straßenverkehr, sondern auch in der Schifffahrt. Mit der „Ampere“ stellte das Land bereits im Jahr 2015 die weltweit erste vollelektrische Fähre in Dienst. Seitdem pendelt der 80-Meter-Katamaran täglich bis zu 35-mal mit bis zu 120 Autos und 350 Passagiere über den Sognefjord. Heute verkehren in Norwegen rund 80 vollelektrische oder hybrid-elektrische Fähren.
Leise und sauber unterwegs in Norwegens Natur
Eine von ihnen ist die „Kinsarvik“. Wie der noch junge Urahn „Ampere“, ist auch die 45 Meter lange „Kinsarvik“ ein Katamaran mit Aluminium-Rumpf. Sie bietet Platz für 16 Pkw und 80 Passagiere. Seit Anfang 2020 übernimmt sie den Fährverkehr zwischen den Örtchen Kinsarvik und Utne im südlichen Norwegen. Auf der Straße, die um den Fjord herumführt, liegen die beiden Orte 90 Kilometer auseinander, mit der Fähre sind es nur noch acht Kilometer. Zwar fährt die „Kinsarvik“ im Normalbetrieb diese Strecke voll elektrisch, für den Notfall hat sie aber noch zwei Dieselmotoren und Generatoren an Bord.
Weil das Stromnetz vor Ort nicht das schnelle, direkte Laden der Schiffsbatterien erlaubt, zieht sich die „Kinsarvik“ nach dem Anlegen die Energie aus zwei Pufferakkus an den Terminals. Aufgeladen werden sie langsamer. Im Vergleich zu einer Fähre mit Dieselmotor ist der CO2-Rucksack der „Kinsarvik“ um 92 Prozent kleiner. Verantwortlich dafür zeichnet die Antriebstechnik von ZF.
Unter dem Motto „Next Generation Propulsion“ besitzt der Technologiekonzern ein reichhaltiges Produktportfolio für die unterschiedlichsten Marine-Anwendungen – egal, ob konventionell, hybrid oder vollelektrisch. Gemeinsames Merkmal aller Komponenten und Systeme: umweltschonende und zukunftssichere Antriebslösungen in unterschiedlichsten Größen bis zu einem Leistungsbereich bis zu 12.000 kW. Im Falle der „Kinsarvik“ sorgen zwei Ruderpropeller (Thruster) vom Typ ZF AT 3016 WM-CR für den Vortrieb. Ein Ruderpropeller ist eine um 360 Grad drehbare Gondel unterhalb des Rumpfes mit einer oder zwei Schiffsschrauben. Der Elektromotor, der die Schrauben antreibt, sitzt im Inneren des Rumpfes.
Beim Ruderpropeller ZF AT 3016 WM-CR arbeitet am vorderen Ende der Gondel ein ziehender Propeller (pulling propeller), am hinteren ein schiebender (pushing propeller). Beide drehen sich gegenläufig. Diese Anordnung sowie ein neues Propeller-Design belasten die Blätter weniger, wovon die Lebensdauer profitiert. Durch die geringere Belastung reduzieren sich auch Lärm und Vibrationen; gleichzeitig erhöhen sich dadurch die Manövrierfähigkeit sowie der Fahrkomfort. Nicht zuletzt aufgrund des Doppelpropeller-Designs lassen sich kleinere Propeller verbauen, da die Leistung von zwei Propellern anstatt eines konventionellen Einzelpropellers aufgenommen wird.
Lissabons Pendler CO2-neutral bewegen
Auch am westlichen Ende Europas, in Portugal, sorgen elektrische Fähren mit ZF-Technik schon bald für verkürzte Wege und eine merkliche CO2-Reduktion. Der Lissaboner Fährbetreiber Transtejo hatte im Oktober 2020 bei der spanischen Werft Astilleros Gondán zehn vollelektrische Passagierfähren bestellt. Diese Katamaran-Fähren mit Kunststoffrumpf werden zehn Fähren mit Dieselantrieb aus der aktuellen Transtejo-Flotte mit 28 Schiffen ersetzen. Geplant ist ihr Einsatz auf drei der fünf Lissaboner Fährverbindungen über die Mündung des Tejo. Die Elektrifizierung der Fährflotte leistet einen wichtigen Beitrag zum nationalen Plan der portugiesischen Regierung, bis zum Jahr 2050 CO2-neutral zu werden.
Die erste der zehn E-Fähren wurde im März 2023 ausgeliefert. Ihr Name: „Cegonha-Branca“ („Weißstorch“). Bis Ende des Jahres werden es vier sein, die restlichen Schiffe folgen im Jahr 2024. „Eine batterie-elektrische Fähre ist eine emissionsfreie Option für Pendler, die ansonsten möglicherweise im Stau mit dem Auto über eine Brücke fahren müssen", sagt Elise Sturrup, Meeresforscherin beim gemeinnützigen International Council on Clean Transportation. Exakt so ist die Situation in Lissabon: Neben dem Wahrzeichen der Stadt, der weltberühmten „Brücke des 25. April“, verläuft eine Route, die künftig von einer der E-Fähren bedient wird.
Wie ihre Schwesterschiffe, kann auch die 40 Meter lange und zwölf Meter breite „Cegonha-Branca“ 544 Pendler transportieren. Für die beiden je 550 kW starken Elektromotoren jeder Fähre liefert ZF jeweils zwei wirkungsgradoptimierte Getriebe vom Typ ZF 3055 NR, die nach Kundenvorgaben konfiguriert wurden.
Die Getriebe sind speziell für elektrische Antriebe mit verbessertem Wirkungsgrad ausgelegt. Damit bietet ZF eine optimale Lösung für den wachsenden Markt elektrisch angetriebener Schiffe.