Testing für E-Antriebe im Wandel
Vieles, was bislang in der Automobilindustrie galt, wirft die aktuelle Transformation über den Haufen. Die Veränderungen erfassen auch das Testing, also das Prüfen und Erproben neuer Produkte im Entwicklungsprozess. ZF hat sich darauf eingestellt.
Beim Begriff „Testing“ hat jeder sofort einen Prüfstand vor Augen, dessen aufwändige Prüftechnik oft sicherheitshalber eingezäunt ist von Plexiglas oder massiven Stahlgittern. So mancher Prüfstand ist als abgeschlossener Raum konzipiert. Einzige Verbindung zum Prüfteam: ein Fenster und unzählige Kabel für die Steuerbefehle und den Fluss der Testdaten. Von diesen Prüfständen gibt es bei ZF sehr viele. Damit prüft der Technologiekonzern die Funktion und Zuverlässigkeit beispielsweise von Antriebskomponenten oder ganzer Systeme auf Herz und Nieren. „Bislang ging es vor allem darum, in dieser Laborumgebung ein Autoleben geschickt so zu raffen, dass später die aufwändigen realen Erprobungen so schlank wie möglich ausfallen können“, sagt Matthias Tögel. Er ist Leiter Test, Validation, Simulation in der ZF-Division Elektrifizierte Antriebstechnologien. Nachteil dieses traditionellen Testing-Ansatzes: Auf dem Prüfstand bewähren können sich Produkte erst, wenn sie einen sehr fortgeschrittenen Entwicklungsstand erreicht haben; üblicherweise ab dem A-Muster-Prototypen bis zum seriennahen D-Muster.
Später Realitäts-Check
Bei ZF, wie in der gesamten Automobilindustrie, nutzen Entwickler das sogenannte V-Modell. Es ist ursprünglich eine Methode aus der Software-Entwicklung, bei der, je nach Projektfortschritt, einzelne Prüfschritte im V-förmig dargestellten Entwicklungsprozess stattfinden. Im klassischen V-Modell der Entwickler findet sich das Testing auf dem Prüfstand deshalb ziemlich weit am oberen Ende des rechten V-Schenkels, also zu einem vergleichsweise späten Zeitpunkt. In dieser Phase geht es darum, ob sich die von den Ingenieuren gewählte Auslegung eines Produkts in der Praxis bewährt, ob es alle vom Kunden vorgegebenen Anforderungen erfüllt und ob es reif ist für die Serienfreigabe.
„Künftig wird es darauf ankommen, das Testing weiter vorne im Produktentstehungsprozess zu verankern. Verknüpfen wir unser Testing-Know-how mit unserer Expertise für Simulationen, können wir aufwändige und zeitintensive Prüfstandsläufe durch Simulationen ergänzen oder sogar ersetzen“, so Tögel. Ziel ist, die Entwicklungszeiten zu verkürzen und die Anzahl der Prototypen und Tests zu reduzieren. Es geht also darum, schneller zu werden und die Kosten zu senken. Insbesondere in den asiatischen Märkten ist ein hohes Entwicklungstempo inzwischen ein wesentliches Auswahlkriterium, das Autohersteller von einem System- und Entwicklungspartner erwarten. Ebenso verlangen Kunden von ihren Systemlieferanten digitale Zwillinge von Produkten, um die eigenen Tests für die Fahrzeugintegration zu verschlanken, zu beschleunigen und auf teure Prototypen zu verzichten.
Aufstieg des virtuellen Testings
ZF kann diese Erwartungen erfüllen. Dazu nutzt der Konzern sein großes Wissen über Simulation und physikalische Tests. Schon lange ist Planung ein wesentliches Tätigkeitsfeld der Testing-Experten. Sie haben viele der Prüfstände entwickelt – parallel zum Produkt und auf der Grundlage der spezifischen Entwicklungsvorgaben. „Das geschah stets mit entsprechendem Vorlauf“, sagt Tögel und ergänzt: „Denn wenn das Produkt reif für die Testphase ist, können wir nicht noch Wochen oder Monate auf die Fertigstellung von Prüfständen warten.“
Darüber hinaus entwickeln die Testing-Spezialisten bei ZF auch virtuelle Prüfverfahren. Zusätzlich setzen sie auf künstliche Intelligenz (KI). Bereits heute nutzt ZF KI-Algorithmen, die den Zusammenhang von (thermischem) Systemverhalten und Fahrprofilen zuverlässig erkennen. Tögel ist sich sicher: „Diese Trias aus klassischen Prüfständen, Simulationsverfahren und ergänzenden KI-Modellen ist die Zukunft beim Testing.“ Und diese Zukunft hat bereits begonnen. Für den Hochleistungsantrieb EVSys800, das Herz des ZF-Konzeptfahrzeugs EVBeat, entwickelte ZF eine neue Kühlung für den E-Motor. Dabei haben die Ingenieure schon aus den Simulationsdaten in der Designphase virtuelle Prüfverfahren abgeleitet. Damit konnten sie das stabile thermische Verhalten des neuen leistungsstarken Antriebs früh im Entwicklungsprozess feststellen.
Ein weiteres Plus des E-Mobilitätsspezialisten ZF: Er entwickelt und testet komplette Systeme, also beispielsweise, wie E-Maschine, Leistungselektronik und Software harmonieren. Deren Zusammenspiel wirkt sich auf die Reichweite von Elektroautos aus und darauf, wie die Autohersteller die teuren Fahrzeugbatterien dimensionieren. Allein durch den Einsatz von ZF-Software lässt sich die Reichweite eines E-Fahrzeugs um sechs Prozent erhöhen.