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#SmartLogistics

Neustart nötig

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Tags: Effizienz, Connectivity
Weltweit wächst der Frachtverkehr rapide: zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Dem Logistiksystem, wie wir es kennen, droht der Kollaps. Experten machen Hoffnung. Durch bessere Vernetzung lässt sich die Effizienz der Logistik noch deutlich steigern.
Martin Westerhoff, 07. August 2018
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Martin Westerhoff studierte Technikjournalismus und schreibt seitdem über Fahrzeuge und Technologien. Er hat ein Faible für Motorsport und Rennwagen.
Für kurze Zeit zerreißt das Dröhnen der Cargo-Boeing 747 die unwirkliche Stille, die seit Tagen über den Häfen von Los Angeles und Long Beach liegt. Die Piloten des Jets nehmen Kurs auf Japan, während sich unter ihnen Zigtausende von Seecontainern stauen. Im Frachtraum des Frachtflugzeugs: tonnenweise tiefgekühlte Pommes Frites. Was geradezu unglaublich klingt, wurde im Dezember 2014 für eine US-Fastfood-Kette zur sehr teuren Realität. Weil ein Streik der Hafenarbeiter in den beiden zuvor schon notorisch überlasteten Häfen an der US-Westküste auch den Nachschub der beliebten Hamburger-Beilage verhinderte, mussten die Burger-Manager handeln.

Höhere Konnektivität für effizientere Logistik

Höhere Konnektivität für effizientere Logistik

Dieses Beispiel zeigt, wie eng die weltweite Wirtschaft vernetzt ist und welche weitreichende Folgen es haben kann, wenn die Logistikkette an einer Stelle gestört ist oder gar reißt. Nach Prognosen der EU-Kommission wird der Frachtverkehr auf Straße, Schiene und Wasser im Zeitraum zwischen 2010 und 2030 um 25 Prozent zunehmen. Angesichts dieser Aussichten sehen Logistikexperten dringenden Handlungsbedarf. „Das Logistiksystem und der Verkehr als Ganzes können nur dann effizient funktionieren, wenn ein entsprechendes Maß an Konnektivität vorhanden ist“, sagt Professor Majid Sarvi, Experte für Transporttechnik an der Universität von Melbourne.
Eine intensivere Kommunikation zwischen Transportmitteln, Gütern und der Infrastruktur ist eine der zentralen Aufgaben einer neuen Disziplin, die sich unter dem Begriff „Smart Logistics“ etabliert hat. Ziel von „Smart Logistics“ ist, den wachsenden Unwägbarkeiten und der steigenden Komplexität in der Transportkette besser zu begegnen. Diese besteht aus der Abholkette („erste Meile“), aus der Transitkette und aus der Lieferkette („letzte Meile“). Wie vielschichtig diese Herausforderung ist, zeigt eine Definition des Instituts für Wirtschaftsingenieurwesen und Innovationswissenschaften an der Technischen Universität Eindhoven. Nach Ansicht der holländischen Forscher bedeutet Smart Logistics, vier Domänen zu synchronisieren: Ein Logistiksystem arbeitet nur dann effizient, wenn das Zusammenspiel aus Planung, Informations- und Kommunikationstechnik, der beteiligten Personen und der Gesetzgebung effektiv justiert ist.

Im Fokus: die letzte Meile

Im Fokus: die letzte Meile

Derzeit konzentrieren sich zahlreiche Entwicklungen und Innovationen in der Logistikbranche auf die letzte Meile sowie auf den vorgelagerten Übergang von der Transitkette – somit also nicht nur auf den Transport, sondern auch auf Betriebshöfe und Warenlager. Die Gründe dafür liegen einerseits im rasant wachsenden Versandhandel, andererseits im anhaltenden Trend der zunehmenden weltweiten Urbanisierung. Das verlangt nach immer mehr Lieferungen für die Stadtbewohner. Nach einer Schätzung der Vereinten Nationen (UN) sind heute 55 Prozent der 7,62 Milliarden Menschen starken Weltbevölkerung Stadtbewohner; im Jahr 2050 sollen es bereits 68 Prozent sein.
„Der Internethandel hat während der vergangenen Jahre in der Region Greater China exponentiell zugenommen, wobei die Logistik zur Lieferung der Waren immer mehr zum Flaschenhals geworden ist“, beschreibt Professor George Q. Huang die Situation im riesigen Wirtschaftsraum China, Hong Kong und Taiwan. Huang ist Leiter des Instituts für Industrie- und Fertigungstechnik an der Universität Hong Kong.
Zwar entstünden immer mehr Warenlager unterschiedlicher Größen auf dem chinesischen Festland, in denen Internetbestellungen zusammengestellt werden. „Sie werden aber noch in einer traditionellen Form von Logistik betrieben, die den heutigen und künftigen Anforderungen nicht gerecht wird“, sagt Huang. So sei etwa die Zeit vom Bestelleingang bis zur Paketübergabe an ein Logistikunternehmen zu lang. Auch ließe sich die Raumnutzung in diesen Logistikparks noch deutlich verbessern.
Eine effizientere Logistik ist nur durch ein vernetztes Verkehrssystem zu erreichen.
Majid Sarvi, Professor für Transporttechnik an der Universität von Melbourne

Abläufe synchronisieren und besser koordinieren

Abläufe synchronisieren und besser koordinieren

„Einer der kritischsten Faktoren aber ist die mangelnde Synchronisierung zwischen den drei Etappen von den Warenherstellern zum Logistikpark, der Bestellzusammenführung in den Parks und der anschließenden Lieferung an den Kunden“, bemängelt Huang. Aktuell arbeitet sein Institut im Projekt „iPark: Kerntechnologien für intelligente E-Commerce-Logistikparks“ an Cloud-gestützten Lösungen.
Auch Professor Majid Sarvi ist davon überzeugt, dass sich die letzte Meile nicht als ein isoliertes Problem der Logistikbranche lösen lässt. Vielmehr gehe es darum, den Verkehr ganzheitlich zu betrachten. „Das Transportsystem ist multimodal und besteht aus sämtlichen Verkehrsmitteln sowie aus der Infrastruktur“, sagt Sarvi. Nur wenn es durch Vernetzung gelingt, dieses Gesamtsystem zu koordinieren und zu optimieren, steigt die Effizienz. „Auch autonome Fahrzeuge bringen nur dann Vorteile, wenn sie mit einer zentralen Datenplattform verbunden sind, die das gesamte Transportwesen im Blick hat”, erklärt Sarvi.

Verkehr der Zukunft, schon heute geprobt

Verkehr der Zukunft, schon heute geprobt

Wie ein solches smartes Transportsystem einmal funktionieren könnte, erprobt die Universität von Melbourne derzeit in einem sechs Quadratkilometer großen Gebiet der Innenstadt. In Echtzeit erfassen Sensoren den Verkehrsfluss von Kraftfahrzeugen, Radfahrern, Fußgängern und öffentlichen Verkehrsmitteln. Dieses vernetzte Gefüge nennt sich AIMES (Australian Integrated Multimodal EcoSystem).
„Ein produktives Transportsystem ist nicht nur essenziell für die Lebensqualität in Städten, sondern auch für eine wettbewerbsfähige Wirtschaft auf dem Weltmarkt“, erinnert Sarvi. Damit fasst der Wissenschaftler zusammen, weshalb smarte Logistiklösungen in der Gesellschaft von morgen einen so hohen Stellenwert haben.

Drangvolle Enge auf den Strassen

Nach Erhebungen der OECD ist der internationale Frachttransport auf der Straße von 2001 bis 2015 um 96,12 Prozent gewachsen. Gemessen in 47 Ländern stieg die Transportleistung von etwa sieben Billionen auf mehr als 14 Billionen Tonnenkilometer (tkm). Die Maßeinheit Tonnenkilometer ist das Produkt aus der transportierten Menge in Tonnen und der dabei zurückgelegten Wegstrecke.

In Kürze: Die weltweite Wirtschaft ist stark vernetzt und lässt den Frachtverkehr rapide wachsen. Ein Warentransportsystem arbeitet nur dann effizient, wenn das Zusammenspiel aus Planung, Informations- und Kommunikationstechnik, der beteiligten Personen und der Gesetzgebung effektiv justiert ist. Das ist das Ziel von Smart Logistics. Derzeit konzentrieren sich zahlreiche Entwicklungen auf die „letzte Meile“ – die Warenlieferung. Experten sind sich einig, dass nur eine intensivere Vernetzung das Verkehrs- und Transportsystem besser synchronisieren kann.