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2018

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Mehr Leistungselektronik – in jeder Hinsicht

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Ob auf internationalen Ingenieurstagungen oder im privaten Freundeskreis: Wo immer das Gespräch auf das Elektroauto kommt, wird wenig über das Fahren diskutiert, sehr viel jedoch über das Laden – und hier vor allem über die Ladezeit.
Dr. Marco Denk, 07. Dezember 2018
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Dr. Marco Denk verantwortet die Vorentwicklung für Leistungselektronik bei ZF. Bereits in seiner Promotion beschäftigte sich der Mechatroniker mit Leistungshalbleitern.
Die Erwartungshaltung beim Energietanken resultiert aus der Gewohnheit. 600 Kilometer zusätzliche Reichweite sind bei Benzin- oder Dieselfahrzeugen in Minutenfrist an Bord. Auch wenn Elektroautos diese „Ladezeit“ vermutlich niemals erreichen werden, soll eine ultraschnelle Ladeinfrastruktur künftig die Wartezeit deutlich verkürzen. So setzt das von den deutschen Automobilherstellern gemeinsam errichtete Ultraschnelllade-Netz auf Ladeleistungen von bis zu 350 Kilowatt. Theoretisch wäre damit ein sehr großer 90-Kilowattstunden-Akku nach 15 Minuten fast vollständig gefüllt. In der Praxis fallen die Ladezeiten zwar etwas länger aus, aber dennoch wird das Stromtanken schneller werden.

Derart hohe Ladeleistungen setzen ein neues Fahrzeug-Bordnetz voraus. Sollen die Verluste während des Ladens mit Gleichstrom möglichst gering ausfallen, sollte die Ladespannung der Batteriespannung entsprechen – und damit auch der Spannung des gesamten Antriebssystems. Deshalb beginnt sich das 800-Volt-Bordnetz als künftiger Standard für Hochleistungs-Elektrofahrzeuge zu etablieren. Das bedeutet aber auch, dass alle Komponenten des Antriebs mit der gegenüber heutigen Lösungen verdoppelten Spannung zurechtkommen.

Besonders relevant ist die neue Spannungslage für die Leistungselektronik, genauer gesagt für die darin verbauten Leistungshalbleiter. Diese steuern den Stromfluss zwischen Batterie und Motor. Sie müssen konsequenterweise auf die doppelt so hohe Spannung ausgelegt sein. Entscheidende Kriterien sind dabei die Leitungs- und Schaltverluste, die zulässigen Arbeitstemperaturen, die Schaltzeiten und nicht zuletzt die Sperrspannung. Letztere ist definiert als die Spannung, die bei einer gegebenen Stromstärke den Stromfluss im Halbleiter vollständig unterdrückt. Sofern das Halbleitermaterial nicht verändert wird, ist die Sperrspannung proportional zur Dicke des Halbleiters. Mit höheren Leistungen einfach immer dickere Halbleiter einzusetzen, ist jedoch keine gute Lösung. Schließlich steigt mit der Dicke auch der Innenwiderstand; entsprechend höhere Verluste sind die Folge. Dieser Verlust ist überproportional hoch, wenn nur geringe Antriebsleistungen erforderlich sind, etwa bei Fahrten in der Stadt.

Vor diesem Hintergrund hat sich ZF dafür entschieden, die nächste Generation der Leistungselektronik auf einem neuen Halbleitermaterial aufzubauen. Statt reinen Siliziums, das bisher verwendet wird, basieren die Leistungshalbleiter im kommenden Jahrzehnt auf Siliziumkarbid (SiC). In der Gitterstruktur des in verschiedenen Phasen auftretenden Stoffes ist jedes Silizium-Atom durch kovalente Bindungen mit vier Kohlenstoff-Atomen verknüpft und umgekehrt. Siliziumkarbid weist eine für Halbleitermaterialien relativ große Bandlücke auf. Die Valenzelektronen sind deutlich stärker an den Atomkern gebunden, als dies bei reinem Silizium der Fall ist. Als Folge erträgt ein Siliziumkarbidhalbleiter bei gleicher Dicke eine zehnfach höhere Sperrspannung als ein Silizium-Halbleiter. Für eine Leistungsbrücke in einem 800-Volt-Antrieb ist daher eine Schichtdicke von etwa 0,1 Millimeter ausreichend, der Innenwiderstand fällt deutlich geringer aus. Ersten Berechnungen zufolge sind, je nach Betriebszyklus, zwischen fünf und zehn Prozent geringere Verluste in der Leistungselektronik zu erwarten. Dementsprechend weiter fährt ein Elektrofahrzeug bei unveränderter Batteriegröße.

Derzeit qualifiziert ZF die ersten SiC-Halbleiter, die den besonderen mechanischen und thermischen Anforderungen im Automobil genügen. Schließlich zeigt die Erfahrung unserer Experten in Auerbach und Bayreuth, dass es zu vorzeitigen Ausfällen kommen kann, wenn man sich allein auf die Angaben der Halbleiterhersteller verlässt. Für die Entwicklung einer hocheffizienten Leistungselektronik muss ein Systemzulieferer wie ZF ein tiefes Verständnis für die Halbleiterphysik entwickeln und über Methoden verfügen, ausführliche eigene Tests durchzuführen. Auf diesem Weg sind wir weit vorangeschritten.