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Spurensuche: Bewahrung des Erbes

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Tags: Heritage
Warum wäre bei Maserati die Heritage um ein Haar für immer verloren gewesen? Und was haben die Dreizack-Ikonen mit Bio-Käse zu tun? Hier finden Sie die Antwort…
Janine Vogler, 06. September 2018
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Janine Vogler Oldtimer liegen der gelernten Journalistin besonders in der Verbindung mit ZF-Produkten am Herzen. Privat ist sie lieber mit Hund in der Natur oder Motorrad unterwegs.
Gemäß dem Motto „Zukunft braucht Herkunft“ ist es inzwischen gang und gäbe, dass die Hersteller bei der Einführung neuer Modelle gerne ihre Tradition zur Schau stellen. Was lange gewachsen, vermittelt die Attribute von Qualität und Stärke und schafft Vertrauen in die Marke. Bei Maserati wäre die Heritage für diese beliebte Marketingstrategie um ein Haar für immer verloren gewesen. Heute ist die Ikonen-Sammlung des einstigen Werksmuseums jedoch auf einer biologisch-dynamischen Käsefarm zu bewundern – in dem wohl schönsten Automuseum Italiens…

Zufällig kommt hier sicher keiner vorbei: Irgendwo zwischen Modena und Maranello, an einem ausgebauten Feldweg und fernab von Kommerz und Rummel von Lamborghini- oder Ferrari-Museen, liegt „Hombre“ – ein großzügiger Bauernhof mit stattlichen Freiflächen. Zwischen weiten Äckern werden hier auf 310 Hektar Land mit gut 500 Kühen nicht nur täglich 6000 Liter Milch in feinsten Bio-Parmesan verarbeitet – hier liegt auch das Mekka für jeden Maserati-Fan. Vor einer unscheinbaren, scheunenähnlichen Halle grüßen ordentlich aufgereiht, etliche Traktoren unterschiedlichster Fabrikate und vermitteln dem ungläubigen Besucher die Gewissheit, dass er hier richtig ist.
Hombre Collection: Für jeden, der sich für Autos oder italienische Automobilkunst interessiert, ist der Besuch in diesem Museum ein Erlebnis.

Um die Ecke wartet hinter einer großen Glastür die weltweit größte und exklusivste Maserati-Sammlung darauf, bestaunt zu werden: die „Collezione Umberto Panini (CUP)“. Ein beeindruckendes Starterfeld von historischen Rennraritäten wie 250F, A6GCS Berlinetta oder der legendäre 420M/58 Eldorado wird - zu unserem Erstaunen - angeführt von einem Levante. Giovanni Panini, der jüngste Sohn Umbertos, erklärt uns warum: „Der Levante wurde mit der Historischen Sammlung im Rahmen einer Kooperation gezeigt. Weil die Maserati-Heritage des einstigen Museums hier steht, werden hier für spezielle Gäste auch gerne neueingeführte Modelle vom Hersteller präsentiert.“

Der Name Panini ist wohl jedem Kind geläufig und dürfte mit den beliebten Klebebildchen bei so manch einem Sammelvirus ausgelöst haben. Umberto Panini besaß mit drei von seinen Brüdern in den 50er-Jahren einen kleinen Zeitungsverlag in Modena, mit dem später die Sticker-Dynastie entstanden war - eigentlich arbeitete er jedoch als gelernter Schweißer und Mechaniker bei Stanguellini und Maserati. Sein persönliches Glück suchte er allerdings zunächst in Venezuela, wo er von 1957 bis 1964 vom Landwirtschaftstechniker zum absoluten Selbstversorger und damit zum „Hombre“ reifte. Zu Hause in Modena boomte inzwischen das Geschäft mit den Sticker-Alben gigantisch. Als seine Brüder kaum die Nachfrage befriedigen konnten, mussten Fabriken gebaut werden. Sie holten sie Umberto zurück nach Modena, wo er eine sehr innovative Misch- und Verpackungsmaschine für die Sticker entwickeln sollte. Seinen landwirtschaftlichen Traum wollte er jedoch nicht ganz aufgeben, und so kaufte er 1972 diese ‚Finca‘ und gab ihr den Namen „Hombre“. Hier fing er mit 30 Kühen an, den für die Region so typischen Parmesan in einem geschlossenen ökologischen System als reinen Bio-Käse zu produzieren.

1989 verkauften die Brüder Panini das gesamte Sticker-Imperium und Umberto konzentrierte sich auf seine Käseproduktion, sowie auf das passionierte Sammeln von Traktoren, Motorrädern und Autos. Inspiriert von der Collection Schlumpf des Automobilmuseums Mulhouse, ließ er auf dem „Hombre“-Areal Anfang der 90er-Jahre ein Gebäude für seine Fahrzeuge bauen. Dafür suchte er in ganz Italien akribisch nach dem passenden, antiken Inventar und richtete es zwei Jahre lang ein.
Traktoren unterschiedlichster Fabrikate.

Seine auto-affinen Söhne Matteo, Marco und Giovanni führen inzwischen das Erbe des 2013 verstorbenen Vaters fort: „Mein Vater war zwar ein Sammler, aber im Grunde war er ein einfacher Mensch“ erzählt Giovanni und führt inzwischen genauso begeistert wie sein Vater durch die Sammlung: „Ihm war die Zufriedenheit der Besucher sehr wichtig und das Ambiente der Ausstellung. Dies ist ein ganz fantastischer Ort und er wollte, dass jeder Besucher hier ein echtes Erlebnis für Augen und Herz haben sollte – und immer eine gute Erinnerung daran.“ Ursprünglich hatte sein Vater im Fokus, alles zu sammeln, was durch einen Motor bewegt wird. Bei der Liebe zum Detail der Ausstattung scheint es fast, als ob Umberto Panini damals schon geahnt hätte, dass er eines Tages einen ganz besonderen Schatz hier beherbergen würde.

„ Von diesen Maseratis hier erzählt jedes Exemplar ein kleines Stück der Maserati­Geschichte. “

Der Coup aber, wie er zu dieser einzigartigen Maserati-Sammlung gekommen war, bietet geradezu Stoff für ein gutes Drehbuch: Anfang der 90er Jahre, etwa ein Jahr vor der Übernahme Maseratis durch den Fiat-Konzern, teilte der damalige von dem Regierungsunternehmen Gepi eingesetzte Geschäftsführer Alejandro de Tomaso die Firma in zwei Teile: die Maserati S.p.A und die Officine Alfieri Maserati (OAM), in der sich auch die fast 20 Maserati-Ikonen des kleinen Werksmuseums befanden. Diese Autos brachte er sicherheitshalber erstmal zum Restaurieren weg, so dass sie zunächst von der Bildfläche verschwanden. Als er die Maserati S.p.A. 1993 dann an Fiat verkaufte, war die Sammlung mit den wertvollen Fahrzeugen darin nicht enthalten. Zum 80-jährigen Firmenjubiläum wurde 1994 zur Bologna Motor Show eine kleine Ausstellung geplant, dafür stellte De Tomaso dem Unternehmen ein paar chronologisch aufgereihte Modelle und einige Motoren leihweise zur Verfügung. Die treuen Kunden und Besucher sollten wenigstens den Hauch einer Impression dieser italienischen Automobilgeschichte erleben können.

Zwei Jahre später wollte er die Autos wieder zurückhaben, bot aber Maserati die 15 Motoren zum Kauf an, welche dann auch zur Ausstellung im Hauptsitz erworben wurden. Die restlichen Fahrzeuge mit den Meilensteinen der Maserati-Geschichte verschiffte De Tomaso heimlich nach London - er wollte sie dort auf einer Auktion versteigern lassen. Ein paar wenige Personen, die zunächst in die von De Tomaso beauftragte Restaurierung der Autos involviert waren, erfuhren davon und informierten Adolfo Orsi über das ungeheure Vorhaben. Der kluge Enkel des einstigen Firmeninhabers wiederum schlug Alarm: Er informierte die Presse darüber, wie auch den Kultusminister, den Bürgermeister und auch die Familie Stanguellini - und schon am nächsten Tag wurde De Tomaso vor seinem Haus von aufgebrachten Modenesen belagert und beschimpft: Die ganze Stadt war in Entsetzen und Aufruhr von der Vorstellung, dass ihre fundamentale Automobil-Heritage außer Landes gebracht wurde und in alle Welt zerstreut würde und somit für immer verloren wäre. Der Druck war enorm und so blieb De Tomaso nichts anderes übrig, als die gesamte Sammlung von der Auktion zurückzuziehen und wieder nach Modena zurückzubringen.
Teil der Sammlung: ZF Synchromagetriebe S4-17.

Gleichzeitig konnten Adolfo Orsi und seine Verbündeten Umberto Panini, welcher durch den Erfolg und Verkauf seiner Firma sehr reich geworden war, davon überzeugen, die komplette Sammlung zu kaufen. Er einigte sich mit dem Auktionshaus, bezahlte die Kommission und brachte die italienische Heritage zurück nach Modena, auf seine Ranch. Zwei Jahre später bot ihm Maserati auch noch einen überraschenden Überrest der Sammlung zum Kauf an: Im oberen Stockwerk des einstigen Museums wurden noch etliche Ersatzteile und spezielle Karosserien entdeckt. Und was für welche! Dort musste alles geräumt werden und mit diesem Material konnten noch einmal vier zusätzliche Fahrzeuge hergerichtet werden. Ein 250F mit V12-Motor – mit der V-6-Variante des Modells wurde Juan Manuel Fangio 1957 F1-Weltmeister - sowie ein Typ 63, der Nachfolger des als „Birdcage“ bekannten Typ 61, weil dessen Karosserie aus über 200 dünnen Gitterrohren gefertigt wurde. Außerdem ein bildschöner 6A54 (der erste Maserati mit ZF-Getriebe) und der weltweit einzige 420M/58 Eldorado! „Von diesen Maseratis hier erzählt jedes Exemplar ein kleines Stück der Maserati-Geschichte“, erzählt Giovanni sichtlich stolz. „Der Eldorado zum Beispiel wurde für das 100-Meilen-Rennen in Monza gebaut.
Maserati 6C 34: Tarzio Nuvolari debutierte mit dem Monoposto beim Grand Prix von Modena.

Der damalige Geldgeber, der die Firma Maserati bei diesem Projekt finanziell unterstützte, wollte ein Rennauto im amerikanischen Stil haben – so kam schließlich der kleine Eldorado-Cowboy auf den Wagen und Maserati hatte den ersten Rennwagen in Europa, der für ein Produkt geworben hatte, welches nicht im Bezug zu Automobilen stand.“
Auf den Seitenflächen des Museums sind die bekannteren Serienmodelle wie 3500 GT, Bora, Ghibli, Quattroporte oder Mistral ausgestellt, besonders in der oberen Galerie stehen dazu auch noch interessante Prototypen wie ein Simun, der dann als Indy mit drei ZF-Getriebe-Varianten (S5-20, S5-325 und S5-24/3) in Serie ging oder ein Chubasco. Sogar ein angeflanschtes ZF-Getriebe S4-17 ist dort zu finden.

Für jeden, der sich für Autos oder italienische Automobilkunst interessiert, ist der Besuch in diesem Museum ein Erlebnis. Es kann zwar kostenlos, kann aber nur nach Voranmeldung besucht werden. Neben der faszinierenden Zeitreise in dieser einmaligen Sammlung kann ein Besuch auch noch ein spätes, ungeahntes Vergnügen verschaffen: nämlich das Gefühl, mit dem eigenen Taschengeld doch irgendwie auch ein bisschen zum Erhalt dieses legendären, italienischen Automobilgutes beigetragen zu haben…
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